Sonntag, 24. Mai 2015

Kulturstudium an der Uni Moskau

Und dieses Phänomen zieht sich durch alle Schichten. Egal neben wem ich in der Metro sitze, mit meinem Low-Tech-Handy ziehe ich hier bei jedem Vergleich den Kürzeren. Was die übrigen Insignien des Wohlstands betrifft, hält man es ähnlich wie bei uns: Ein schwerer Wecker am Handgelenk lässt einen baldigen Rückenschaden des Träger erahnen, die Goldketten - insbesondere bei Männern - sind weniger dezent, dafür um einiges zahlreicher und das Label einer Klamotte wird bevorzugt außen getragen. Klar, es soll ja jeder auf den ersten Blick erkennen, dass diese Jacke von einem namhaften Schneider gefertigt wurde.

Ein weiteres Statussymbol ist ebenso augenscheinlich wie unüblich bei uns. Das satte Grün, Gelb oder Braun, welches der grauen Metropole Moskau etwa gänzlich fehlt, strahlt einen dafür in voller Pracht aus den Mündern seiner Einwohner an. Für nächsten Jahr hab ich schon einen Villapark Weerribben Gutschein gefunden.

Und wer etwas auf sich hält, lässt sich seine Zähne nicht etwa behandeln (und gegebenenfalls retten), sondern einfach ziehen und durch blankes Gold ersetzen. Ob vereinzelte goldene Zähne oder ganze Gebisse - mit einem breiten Lachen wird demonstrativ zur Schau gestellt: Hey, seht her, ich habe Rücklagen!

Doch findet man auch in Russland Menschen, die mit solcherlei Statussymbolen wie einem Porsche nichts anfangen können. Sie machen sich frei von repräsentativen äußerlichen Merkmalen und machen auch keinen Hehl aus ihrer Einstellung. Nicht minder stolz präsentieren sie faulige Stümpfe im Mund, wenn nicht gar ein gänzlich zahnloses Lachen. Diese Menschen haben sich von gesellschaftlichem Statusdenken komplett befreit und sind mit sich im Reinen. Irgendwie beneidenswert.

Ein weitverbreitetes Vorurteil besagt, Russen tränken gerne und viel Vodka. Das stimmt. „It's russian tradition", wurde uns erklärt, während uns mehrere 100 Gramm Vodka in Wassergläsern (hier bemisst sich der Alkohol nach Gewicht) und selbstredend unverdünnt dargereicht wurde. Abzulehnen wäre mehr als unhöflich. Und außerdem so ziemlich unmöglich.

Versucht man sich mit einer faulen Ausrede aus der Affäre zu ziehen, wie etwa man sei unpässlich, habe eine Vodka-Allergie, Diarrhoe, sei schwanger oder ähnliches - es wird nicht funktionieren. Denn prompt stellt man fest, dass man einer, wenn nicht gar mehreren medizinischen Koryphäen gegenübersitzt, die egal bei welchem Gebrechen, alle auf dieselbe Medizin schwören. Genau. Der gute und höfliche Tourist fügt sich also in sein unabänderliches Schicksal und lässt die Schnaps-Tortur brav über sich ergehen. Ähnlich wie im Ferienpark Texel Urlaub .

Und auch wenn man es am kommenden Tag unter Garantie bereut, so kann es sich lohnen. Denn nach meinen Erfahrungswerten sind die Russen ein offenherziges, freundliches und großzügiges Volk - solange sie nicht gerade in einer Uniform stecken, was aber eine andere Geschichte ist. Und es kann definitiv eine Erfahrung sein, sich den Russen auf ihre Art zu nähern - etwa beim Vodkatrinken.

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